Zaubersatz: Das kann ich gut verstehen

Es gibt einen Satz, der bei unseren Kindern Wunder bewirkt.
Er kann aus trotzigen, enttäuschten und sturköpfigen Pubertierenden kooperationsbereite Menschen machen. Nach unserer Erfahrung wirkt er in vielen Fällen ausgesprochen gut.

Der Satz lautet: „Das kann ich gut verstehen.“
Dieser Satz wirkt auch bei ärgerlichen Gesprächspartner:innen Wunder.
Wir haben heute ein paar Beispiele für Sie.

Menschen zu finden, die mit uns fühlen und empfinden, ist wohl das schönste Glück auf Erden. (Carl Spitteler)

Mit den Augen des Anderen sehen

Ein Mann sitzt mit seinem 17-jährigen Sohn im Zug. Mit großen Augen schaut der junge Mann aus dem Fenster und fragt: „Papa, ist das eine Kuh?“ Der Vater lächelt und antwortet: „Ja, mein Sohn.“ Aufgeregt spricht der Junge weiter: „Papa, diese Blume ist eine Sonnenblume, oder?“ Die Antwort lautet wieder: „Ja, mein Sohn.« Viele weitere Fragen folgen: „Papa, ist das ein Lastwagen? … eine Tanne? … ein Hubschrauber? … ein hoher Berg …?“ Stets folgt dieselbe Antwort: „Ja, mein Sohn.“

Ein Fahrgast, der den beiden gegenübersitzt, spricht den Vater nach einer Weile an: „Bei allem Respekt, das Verhalten Ihres Sohnes ist doch sehr merkwürdig.“ Er weist ihn darauf hin, dass es heutzutage doch sehr gute Kliniken für Fälle „wie diesen“ gäbe und die Medizin in alle Richtungen große Fortschritte mache.
Der Vater unterbricht ihn: „Wie recht Sie doch haben!“, ruft er und fährt freundlich fort: „Von solch einer Fachklinik kommen wir gerade. Mein Sohn hat vor zwölf Jahren sein Augenlicht verloren und kann seit wenigen Tagen wieder sehen.“

Sichtlich beschämt senkt der Mann den Blick. Nach einer Weile wendet er sich dem Jungen zu: „Junger Mann, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.“ Und nach einer Pause sagt er noch: „Und ich möchte mich bei Ihnen bedanken. Sie haben mir eben aufgezeigt, dass ich vieles Wertvolle im Leben gar nicht mehr wahrnehme, weil ich es für selbstverständlich gehalten habe.“ (© Gisela Rieger)

"Das kann ich gut verstehen."

Was macht diesen Satz zu einem Zaubersatz?

Stellen Sie sich vor: Sie möchten eine Pizza backen. Sie heizen den Backofen auf, backen die Pizza und verspeisen sie. Was passiert mit dem Backofen? Er kühlt an – und braucht dafür Zeit.

So ähnlich verhält es sich mit unseren Emotionen. Auch sie brauchen Zeit zum Abkühlen.
Wir können diese Zeitspanne verkürzen. Eine Methode dazu ist, unseren Gesprächspartner:innen Verständnis zu zeigen. Wenn wir die Emotionen und Bedürfnisse der Menschen benennen, kann die Emotion rascher abkühlen (Das ist mit mehreren Studien belegt „Putting feelings into words“).

Sätze, die bei Kindern wirken (können):

„Ich kann gut verstehen, dass du bis vier Uhr früh auf der Party sein möchtest. Das ist deine erste Party. Wir vereinbaren für dieses Mal, dass ich dich um zwei Uhr abhole. Bei der nächsten Party können wir das neu besprechen, okay?“

„Ich kann gut verstehen, dass du dein Zimmer nicht aufräumen magst. So, wie es ausschaut, dauert das länger. Ich schlage dir vor, dass du deinen Wecker auf 25 Minuten stellst – und so lange räumst du auf. Du wirst staunen, was du in dieser Zeit alles schaffst. Einverstanden?“

Sätze, die im Job gut wirken (können):

„Ich kann gut verstehen, dass Sie verärgert sind, dass Herr Nachlässig Sie noch nicht zurückgerufen hat. Das ist nervig, da Sie ja auf die Information warten. Ich schreibe ihm gleich noch einmal eine Nachricht. Wie lange sind Sie denn heute noch erreichbar? Bzw. ab wann sind Sie denn morgen erreichbar?“

„Ich kann gut verstehen, dass Sie enttäuscht sind, dass es mit der Lieferung nicht so, wie gewünscht, geklappt hat. Vor allem, da Sie sich extra dafür frei genommen haben. Das ist wirklich ärgerlich. Ich frage sofort beim Lieferanten nach, wann der nächstmögliche Termin ist. Ich melde mich heute noch verlässlich mit einer Zwischeninfo bei Ihnen, verbleiben wir so?“

„Ich kann gut verstehen, dass Sie gerne einen früheren Termin haben möchten – jetzt wo Sie eine Entscheidung getroffen haben, wollen Sie es natürlich rasch erledigt haben. Mir geht es ähnlich, wenn ich etwas haben möchte, will ich es auch gerne schnell haben. Aufgrund der aktuellen Situation können wir Ihnen den Termin in der KW … anbieten. Möchten Sie diesen Termin nehmen?“

Was macht diese Sätze so wirkungsvoll?

Als Baby rufen wir, wenn wir Hunger haben, uns langweilig ist oder wir die Hose voll haben. Wenn wir Hunger haben, wollen wir etwas zu essen und nicht eine frische Windel haben. Wenn uns langweilig ist, wollen wir Unterhaltung und nichts zum Trinken haben. Wenn unser Bedürfnis nicht richtig oder gar nicht erkannt wird, sind wir quengelig oder schreien. Wir sind immer dann zufrieden, wenn unser Bedürfnis genau erkannt wird.

Werden diese nicht wahrgenommen oder verstanden, dann wird der Gefühls-Backofen nochmal angeheizt und Gespräche eskalieren leichter.
Für das wertschätzende Umgehen mit Menschen gilt: je besser wir die Emotionen und Bedürfnisse wahrnehmen und ansprechen, desto besser fühlen sich diese verstanden. So entsteht eine gute und tragfähige Beziehung.

Denn es ist eines unserer tiefsten Grundbedürfnisse, wahrgenommen zu werden.

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